Alleine im Rennen vom Rad abzuspringen erfordert schon viel Übung. Doch im Gleichklang zu zweit von einem Tandem herunterzukommen, das ist alles andere als einfach. Für Anja Renner und Maria Paulig war das vergangene Jahr geprägt von der Arbeit, Synchronisationsprozesse zu optimieren, als Team zusammenzufinden. Das hat so gut geklappt, dass die beiden bayerischen Athletinnen von null auf Paralympics durchstarteten.
Am 21. Mai 2023 gingen die beiden das erste Mal gemeinsam auf die Rennstrecke. Mit dem Africa Paratriathlon Cup Sharm El Sheikh ging es gleich um internationale Punkte. Das Wagnis lohnte sich, denn das Tandem schwamm, fuhr und lief direkt zum Sieg. Von da an ging es Schlag auf Schlag: Schon in der nächsten Woche gab es einen weiteren Erfolg, insgesamt acht erfolgreiche internationale Rennen kamen 2023 zusammen. Anfang 2024 folgte dann in der World Triathlon Para Series (WTPS) in Devonport (Australien) der erste Sieg. Damit stand die Qualifikation für Paris fest.
Und wie fühlt man sich in so einem Steilflug hin zu einem der größten sportlichen Events? Wir haben Anja und ihren Guide Maria gefragt.
Hallo Anja,
Für dich geht in wenigen Wochen der Traum von der Teilnahme an den Olympischen Spielen in Erfüllung. Wie fühlt sich das aktuell an?
Momentan stehe ich zwischen Freude und Aufregung. Gerade erst, als ich die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele verfolgte, habe ich richtig realisiert, dass ich auch dabei sein werde. Es fühlt sich toll an, es ist aufregend. Ich bin stolz, dass ich den Weg bis hierhin so geschafft habe!
Du bist schon viele Jahre im Sport und doch ging es im letzten Jahr sehr schnell: Erster Weltcup-Start, erste Siege und nun die Paralympics. Was war dein Highlight auf dem Weg?
Mein Highlight auf dem Weg war definitiv im letzten Jahr der Sieg beim Paralympischen Testevent in Paris. Es war ja das erste Rennen, das ich mit Maria als Guide gemacht habe. Für mich war das auch die Bestätigung, dass es die richtige Entscheidung war, noch einen Guide zu suchen. Dass wir das Rennen dann gleich gewinnen konnten, war schon richtig cool. Ein weiteres Highlight war die Teilnahme an der WM. Auch wenn wir bei dem Wettkampf nicht ganz zufrieden waren, hat uns das Ergebnis zum Sprung in den Bundeskader verholfen, was einiges erleichtert hat.
Ging’s wirklich nur bergauf oder gab es auch Situationen, in denen du weitere Hindernisse überwinden musstest?
Natürlich gab es auch Hindernisse. Ich hatte ja von der Idee bis hin zu den Spielen einen sehr straffen Zeitplan. In weniger als eineinhalb Jahren musste ich viel Drumherum organisieren, musste Punkte für die Weltrangliste und das paralympische Ranking sammeln, brauchte ein Tandem, musste Guides suchen, Lizenzen und Zertifizierungen besorgen. Dazu kam, dass ich ohne Kaderstatus alle Reisen selbst geplant habe und mir dann schon genau überlegen musste, bei welchen Rennen ich starte.
Mein erster Guide, Delia, begann mit mir die Reise. Es zeigte sich dann aber schnell, dass ich mit ihr das Ziel nicht erreichen würde. Ich war also gezwungen einen neuen Guide zu suchen, der näher an meinen Leistungen war.
Und schlussendlich blieb auch ich von Verletzungen nicht verschont. Bei all dem einen kühlen Kopf zu bewahren und das Beste aus der Situation zu machen, das war wirklich nicht leicht.
Was wünschst du dir für die Spiele?
In erster Linie möchte ich die Atmosphäre dort genießen und Spaß haben. Ich wünsche mir, dass ich auch das Drumherum mitnehmen kann: andere Sportarten erleben, die Schönheit der Stadt genießen, die Energie aufnehmen. Dann wünsche ich mir, dass wir eine tolle Leistung zeigen können und beweisen, wofür wir hart trainiert haben.
Hallo Maria,
Du warst zwar zuvor schon erfolgreich im Triathlon, aber die Olympischen Spiele hattest du nicht im Visier. Wie fühlt es sich nun an, als Guide nach Paris zu den Paralympics zu fahren?
Manchmal kann ich es immer noch nicht glauben, dass wir in wenigen Wochen in den Flieger nach Paris steigen werden, denn erst vor circa einem Jahr begann unser gemeinsamer Weg. Ich fühle eine große Verantwortung, Anja begleiten zu dürfen und bin ihr unglaublich dankbar, dass sie mir vertraut. Ich bin aufgeregt, neugierig, motiviert, in voller Vorfreude, auf alles was kommt und stolz auf uns als Team.
Im Video sieht man, wie eingespielt euer Team sein muss, um Bestleistungen zu erzielen. Wie lief euer Team-Prozess ab? Was fiel leicht, was fiel schwerer?
Seit letztem Jahr sehen wir uns immer wieder regelmäßig zum Training: gemeinsames Laufen, Bahn-Training, Tandem-Fahren, Wechsel-Training, Freiwasserschwimmen, Techniktraining mit dem Rad oder auch mal ein Testwettkampf. Manchmal machen wir kleine Kurztrainingslager bei Anja daheim oder Anfang des Jahres waren wir beispielsweise zusammen auf Lanzarote. Im März waren wir auf einer längeren Wettkampfreise. Wir sprechen viel über die Abläufe, probieren neue Sachen aus und versuchen uns als Team zu optimieren. Auch über Fehler sprechen wir und analysieren, was nicht gut lief, um daraus zu lernen. Anfangs fiel uns das gemeinsame Schwimmen schwer, aber wir arbeiten viel daran, um besser zu werden.
Hat die Zusammenarbeit mit Anja, deinen Blick auf den Sport verändert?
Sehr! Auf der einen Seite weiß ich die Gesundheit noch mehr zu schätzen, die es mir ermöglicht jeden Tag ohne Einschränkungen das zu tun, wonach mir ist (nicht nur in sportlicher Hinsicht) – denn das ist nicht selbstverständlich. Auf der anderen Seite zeigt mir Anja (und der Rest der Parasportwelt) was trotz Handicap möglich ist. Für mich steckt in jedem einzelnen Parasportler ein Vorbild in Sachen Kampfgeist, Motivation und Willensstärke. Für mich bedeutet ein erfolgreiches Einzelrennen viel, aber sich – wie in unserem Fall – zusammen über einen Sieg zu freuen verdoppelt die Freude.
Noch mehr zu der Vorbereitung der beiden gibt’s in der Dokumentantion:
Mehr Infos zu Anja Renner und ihrer Karriere gibt es auf ihrer Website https://anja-renner.com und auf ihrem Insta-Kanal https://www.instagram.com/anja_renner_paratriathlon/
Foto: World Triathlon/ Tommy Zaferes, Simon Sturzaker, private Aufnahmen